Hallucination
Der arme Reiche, der schweigsam und traurig seinen habgierigen Ausbeutern aus übervollen Händen gab und seufzend allein sass, zu stolz, um das Almosen der Liebe zu betteln!
»Keine Verwandten, keine Familie, keine Freunde, kein Herz!« so schluchzte seine Seele und da — erschoss er sich.
Ja, eben hatte ich es gelesen.
»Ich sass im Zimmer, ein zitternder Dämmerschein lag über dem Raum. Aus hoher schlanker Silbervase stiegen fahlbleiche Iris in die Höhe. Von ihren langen Stengeln herab wiegten sie ihre überzarten Köpfe, leisen Duft in den Raum ergiessend. Sie flüsterten zu mir von seiner Sehnsucht und der meinen: eine Seele! eine Seele! O verzehrender Durst nach einer Seele!
Warum hab’ ich ihn nicht gekannt, o Schicksal! Warum?
Da fällt’s in mein Herz herab, die Liebe zu ihm, so einzig, wie man nur Tote lieben kann. Ein Schauer erfasst mich. — Ich muss ihn sprechen! — Meine Augen erweitern sich, in nie geahnte Fernen sehend. Sie durchblicken das Dunkel des Seins. Ich weiss, dass ich ihn nun rufen muss und dass er kommen werde zum keuschen Seelenkusse. Nie gefühltes Bangen durchrieselt mich, die Ätherwellen sind zarte Boten unserer Gefühle, es kommt näher und näher, schauernd und selig fühl’ ich’s — ich bebe — jetzt — o jetzt! — ein brutaler Griff knorriger Finger, ein schnalzender Kuss aus breitem Munde — das ist die irdische, die materielle Liebe, die da kommt.
Urplötzlich zerbrechen jene zarten Ketten des Verständnisses.
Mein Strom und seiner haben sich verloren. Er schwimmt weiter hinaus im Äther, für immer mir entfernt.
Denn einzig ist jede Zeit, nie kehrt wieder, was war oder hätte sein können. — Nun weine ich.
Nun muss seine Seele in banger Sehnsucht dahin seufzen im Raum und sich an Schläfer in trüber Ängstlichkeit bettelnd schmiegen, die in Beklemmung aufwachen, nicht wissend, was es war.«
Aus: Sehnsucht [verfasst von Elsa Asenijeff], W. Friedrich, Leipzig, 1898