Bei
der Ausgrabung der Deutschen Orientgesellschaft im Jahre 1911/12 im Tell-Amarna
wurde in einer freigelegten Bildhauer Werkstatt aus
der Zeit Amenophis IV. neben anderen Arbeiten eine Kalksteinbüste des Königs
gefunden, die jetzt im Oberlichtsaal des Berliner Ägyptischen Museums
aufgestellt ist.
Der Name Amenophis IV. ist nicht geschichtlich überliefert
wie der eines Menes, Sesostris oder Ramses; er wurde erst durch die Entzifferung
der Hieroglyphenschrift und die Ausgrabungen bekannt. Seine Regierung 1375-1358
v. Chr. war eine der bewegtesten Zeiten der inneren Geschichte Ägyptens. Vom
König selbst ging eine eingreifende religiöse Umwälzung aus, die darauf hinzielte,
eine vielleicht ältere esoterische Lehre zur Staatsreligion zu erheben und die
Scharen menschlicher und tierischer Götterbilder durch ein einziges Symbol von
primitiver Größe zu ersetzen: das Bild der »lebenden Sonne, die zuerst lebte«.
Ein Denkstein in Kairo zeigt Amenophis vor diesem Bild der Sonne kniend; sie berührt
mit ihren Strahlen, die in Hände ausgehen, den König und die Opfergaben, die er
darbringt. »Du gehst auf im östlichen Horizonte und erfüllst die Erde mit
deiner Schönheit. Du bist schön und groß und funkelnd und hoch über der Erde.
Deine Strahlen umarmen die Länder, soviele du geschaffen hast. Du bezwingst sie
durch deine Liebe«. »Gehst du unter im westlichen Horizonte, so ist die Erde
finster als wäre sie tot. Die Erde schweigt: der sie schuf, ruht in seinem
Horizonte«. »Du schufst den fernen Himmel, um an ihm zu strahlen, um all dein
Erschaffenes zu sehen, allein, aufgehend in deiner Gestalt als lebende Sonne,
erglänzend, strahlend, dich entfernend, wiederkehrend«. So heißt es in dem
großen Sonnenhymnus, der auf den Grabwänden in Tell-Amarna eingemeißelt ist und
den der König wohl selbst verfaßte. Auch die wenigen Kunstdenkmäler, die bei
der erbitterten Gegenrevolution nach dem Tode Amenophisʼ der Vernichtung
entgingen, bestätigen den umfassenden Einfluß des Königs auf die geistige Haltung
seiner Zeit: Die Regierung Amenophis IV. ist zugleich eine besondere Stilepoche
der ägyptischen Kunst, die weiter wirkte, nachdem der orthodoxe Klerus die
neue Lehre längst ausgerottet, die Stadt des Sonnenkönigs zerstört und Amon
wiedereingesetzt hatte: »Weh dem, der dich antastet! Deine Stadt besteht, aber
der dich antastete, ist gefällt. Pfui über den, der gegen dich frevelt in
irgendeinem Lande. Die Sonne dessen, der dich nicht kannte, ist untergegangen,
aber wer dich kennt, der leuchtet. Das Heiligtum dessen, der dich antastete,
liegt im Dunkel, und die ganze Erde ist im Lichte«.
Die Ruinen von Tell-Amarna, zumal die Gräber der Fürsten
und Würdenträger haben uns vortreffliche Beispiele der Flächendarstellung
aufbewahrt: Malereien, Flachreliefs und die komplizierten versenkten Reliefs
(en creux), eine alte ägyptische Kunstübung, deren stilistische Bedeutung erst
damals begriffen wurde. Rundskulpturen aus der Zeit sind selten. Der Berliner
Kopf — etwa 21 cm hoch und ein Bildhauermodell wie die früher gefundene Büste im
Louvre — ist eins der besten erhaltenen Stücke. Er war wie die meisten
ägyptischen Skulpturen bemalt; auf den Lippen und Brauen ist die Farbe
erhalten, am Hals sind Farbspuren. Der Kopf zeigt wohl noch die geschlossene
Form und einfache Aufteilung der älteren ägyptischen Plastiken, doch
unterscheidet ihn von diesen die der früheren Rundskulptur fremde
differenziertere Modellierung. Die Brauen. Augenlider, Lippen sind flächig und
kantig gearbeitet wie im strengen ägyptischen Stil, Kinn und Wangen dagegen
immer wieder übergangen, dass die Rundungen ineinander fliessen und die
Schatten unbestimmt werden. Die Haut erscheint in dem zerstreuten Licht wie
lebend, unter den Augen fast durchsichtig zart, während auf Lidern und Lippen
das Licht sich zu breiten, von Schattenlinien unterstrichenen Bändern sammelt.
Die ausgleichende Modellierung in den Hauptformen, die den Reiz des Lichts auf
der Haut wiedergiebt, gehört zum Wesentlichen dieses Stils. Der abgebildete
Frauenakt, leider ein Torso, kann eine Vorstellung von der Behandlung des Nackten
in diesem Kunstkreis geben.
Der Meister, der so sensibel in der Auswahl seiner
plastischen Mittel war, als es galt, die künstlerische und seelische
Sensibilität der königlichen Person im Bild zu erfassen, hat seine Vorläufer
unter den ägyptischen Reliefbildnern. Er hat die Stilmomente des raffiniertesten
Flachreliefs aufgegriffen, das wir kennen. Der Kopf ist am Profil am stärksten
empfunden: hier sind die Linien der Krone am vollkommensten in die Komposition
eingeordnet. Hier kehrt in Hals und Nackenlinie die eigentümlich schwungvolle
Kurve wieder, die den Amenophisreliefs die leidenschaftliche Bewegung und
zugleich den dekorativen Reiz verleiht. Im Relief wurde auch jene differenzierte
Modellierung, die nun auf die Rundplastik übergreift, längst gepflegt. Der
optische Kontrast des geglätteten Mauerplans und der rhythmischen Hebungen und
Senkungen der reliefierten Gestalten haben die ägyptischen Künstler von
Anbeginn so gefesselt, dass sie sich schon früh für ein Flachrelief von minimaler
Höhe, wenigen Millimetern, entschieden, dessen Stilwert in der stark betonten
und doch meisterhaft ausgeglichenen Spannung zwischen der plastischen Realisierung
der Form und ihrer Flächenbindung liegt. Sie besassen vor der Mitte des dritten
Jahrtausends eine subtilere Relieftechnik als irgendein Volk nach ihnen, und
der plastische Dekor ihrer Grab- und Tempelwände ist durch alle Zeiten ohnegleichen
geblieben. Für die Rundskulptur allerdings dürfte das Eindringen der plastischen
Differenzierung in einen monumentalen Stil von höchstem Rang den Beginn einer
künstlerischen Dekadenz bezeichnen. Darauf deutet auch die dekorative Gesamthaltung
der Büste und die unzweideutige Orientierung dieser Kunst auf das psychologisch
Interessante.
Vielleicht ist uns kein persönlicheres Werk der
ägyptischen Kunst erhalten als der Berliner Kopf; an Grossheit der Auffassung
und strenger Sachlichkeit übertrifft ihn aber manche schlichtere Skulptur eines
altägyptischen Meisters.