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Sonntag, 9. November 2014

Georg Hirth - Das Gehirn unsrer lieben Schwestern




Unter allen höheren Regungen und Bewegungen un­serer Zeit erscheint mir, rein menschlich betrachtet, als die schönste und interessanteste der Kampf unserer Schwestern um Gleichstellung mit dem starken, dem herrschenden und unterdrückenden Geschlecht; ja ich halte es für möglich, dass nicht etwa die sozialen und wirtschaftlichen Dissidien der Männerwelt — zum Theil recht dumme Sachen — dem kom­menden Jahrhundert seinen eigenthümlichen Stempel auf­drücken werden, sondern dass dieses Jahrhundert seine Welt­signatur recht eigentlich von der Lösung der »Frauenfrage« erhalten wird.
Denn was wir bisher davon erlebt, das war und ist nur erst Vorpostengefecht. Man kann zwar nicht leugnen, dass unsere Schwestern schon manche Positionen errungen ha­ben, die früher uneinnehmbar schienen, und dass sie diese mit grossem Geschick vertheidigen und befestigen, aber die eigentlichen »Sperrforts« der Gleichberechtigung — denn sie wollen »uns« ja nicht verdrängen, sie begehren nur Einlass! — diese Sperrforts sind noch ausschliesslich in den Händen der Männer, und immer noch, wenn die muthige Schaar mit hellklingendem Kriegsgeschrei neuen Ansturm wagt, ertönt ihr im tiefsten Basse das »Zurück« der Thorwächter entgegen.
Im tiefsten Basse wissenschaftlicher Ueberzeugungstreue! Dies »Zurück« klingt so wahr und so bieder, und ist doch oft, ja zumeist nichts als geschlechtsegoistische Ueberhebung, mit der wir seit Adams Zeiten unsere ach! so lieben und ach! so unentbehrlichen Schwestern der Schlangenrolle zu verdächtigen und zur Strafe dafür auch noch zu terrorisiren, mit Eifersucht zu quälen, zu haremisiren und zu kemenatisiren gewohnt sind, immer unter dem heuchlerischen Vorwande der ritterlichen Fürsorge. Als ob sie was davon hätten, dass sie uns — wie wir so gerne singen himmlische Rosen in’s irdische Leben flechten!
Da ist denn das Sperrfort der Universität. Zum hundert­sten Male wird den wissensdurstigen Frauen von Einem im Talar gesagt: »Da habt Ihr nichts zu suchen!« Und um dem Worte den rechten zeitgemässen Nachdruck zu geben, wird mit wichtigthuendem Pathos hinzugefügt: »Wie solltet Ihr auch? Euer Gehirn ist zu klein, um unsere Wissen­schaft zu fassen, — was Männer erdachten, kann nur von Männern begriffen werden. Das ist göttliche Ordnung[i] mulier taceat in ecclesia.«
Das eben, liebe Schwestern, will ich heute zu Eurem Frommen an den Pranger stellen, auf die Gefahr hin, als Verräther am Geheimniss »männlicher Wissenschaft« be­trachtet zu werden: Die ganze Lehre von der Inferiorität des weiblichen Gehirns ist eine fromme Mär, ein wissenschaftliches Quiproquo, das eben nur beweist, wie lange und hartnäckig Männer zu irren im Stande sind. Diese Lehre beruht auf zwei falschen Voraussetzungen, nämlich erstens, dass das Gewicht des gesammten Gehirnes ganz direkt als Massstab für die Intelligenz zu nehmen sei, und zweitens, dass es statthaft sei, mit statistischen Durchschnitten aus Massenbeobachtungen einer Frage auf den Leib zu rücken, in welcher nur mit individuellen Begabungen gerechnet werden darf.
Beginnen wir mit dem zweiten Trugschluss, so ist es doch zunächst klar, dass auch unter Denen vom starken Ge­schlecht gewiss nur ein mässiger Prozentsatz zu wissenschaft­lichen Studien und Berufsübungen befähigt ist. Dieser Satz ist sogar ziemlich gering, er mag 5 bis 10 Prozent ausmachen, kaum mehr. Nehmen wir nun an, bei den Weiblein seien es nur 2 bis 3, ja nur 1 Prozent, mit welchem Rechte will man dieser Minderzahl die Betheiligung an den wissen­schaftlichen Studien, die der Staat ermöglicht, wehren? Lehrt nicht Jeden schon die persönliche Erfahrung, dass es viele Frauen gibt, die an Intelligenz ihre männliche Umgeb­ung weit überragen? Und ist nicht schon von vielen Frauen der Beweis geliefert, dass sie mit Erfolg der Erforschung und Verkündigung der Wahrheit zu dienen vermögen?
Was aber das ominöse Gewicht des Gehirns anbelangt, so ist es ja richtig, dass im Grossen und Ganzen das weibliche um ein paar Hundert Gramm leichter ist als das männliche, was nicht ausschliesst, dass Millionen männ­licher Spatzengehirne von Millionen weiblichen Gehirnen auch an Gewicht weit übertroffen werden. Aber die Hauptsache ist, dass nach den neuesten Forschungen auf diesem Gebiete das Gesammtgewicht des Gehirns für die Beurtheilung der Intelligenz überhaupt keine nennenswerthe Bedeutung hat. Solche Bedeutung kommt nur verhältnissmässig kleinen Partien des Gehirns, vor Allem der »Grosshirnrinde« zu, und auch hier stehen die dem höheren Denken dienenden Nervenkörper neben solchen, welche ganz direkt die Sinnes­werkzeuge und die Muskulatur im Zentralorgan vertreten. Die genaue Unterscheidung aller dieser Elemente ist äusserst schwierig und erst im Werden begriffen. Das Gesammtgewicht des Gehirns aber steht normaler Weise viel eher zur Körpergrösse, zur leiblichen Entwicklung und Kraft, als zur Intelligenz im Verhältniss. Das Riesengehirn eines Bis­marck erklärt sich zum grössten Theile aus der ganzen wuch­tigen Persönlichkeit des ungewöhnlich grossen und starken Mannes; dass darin die Denkzentren einen verhältnissmässig grossen Raum einnehmen, ist zweifellos. Im Uebrigen kann auch ein grosser dummer Kerl ein sehr schweres und grosses, ein zartes und gescheidtes Männlein ein sehr kleines Gehirn besitzen, und genau so verhält es sich bei unseren Schwestern. Da die meisten unter diesen von kleinerer Statur und weniger raubthierartig beschaffen sind, als die Männer, so haben auch die meisten ein leichteres Gehirn, — nicht weil sie dümmer sind, als die Männer!
Jene Gehirnpartien aber, welche speziell der Intelligenz als Grundlage dienen, sind in ihrer Ausbreitung nicht blos das Produkt der Erbanlage, sondern auch der Uebung und der durch diese bedingten spezifischen Ernährung. Man ver­statte dem zu höherer geistiger Thätigkeit veranlagten Frauen­hirn die rechtzeitige Uebung und die stolzen Thorwächter der Sperrforts werden sich wundern, wie viele geschickte Kolleginnen sich ihnen an die Seite stellen werden.
Was der Mann trotzdem im Allgemeinen in fast allen geistigen Thätigkeiten vor der Frau voraus hat und wohl immer voraus haben wird, das beruht in der stärkeren An­griffsfähigkeit, welche ihrerseits wesentlich von geschlecht­lichen Verhältnissen abhängt, — von jenen Verhältnissen, aus denen sich u. a. auch unsere Stimme zum Bass ent­wickelt, und welche jenen Brustton der Ueberzeugung zeitigen, der so oft nur leerer Schall ist. Ueberall wo raubthierartige Energie, rohe Kraft, Leidenschaft, Brüllen etc. am Platze sind, da wird der Mann der Frau stets überlegen bleiben; er ist kühner und verwegener in allen Dingen, auch im Denken und Phantasiren. Dafür ist die Frau feiner, geduldiger, sorg­licher, mitleidsvoller. Wenn sie nicht alle physischen und die meisten moralischen Lasten der Fortpflanzung zu tragen hätte — wer weiss, ob sie nicht längst unsere gefährliche Rivalin auch im staatlichen Leben wäre!
Wer aber meint, dass das »hysteroïde Denken« (wie ich ganz allgemein das sprunghafte und durchlöcherte Denken nen­nen möchte) ein trauriges Vorrecht unserer lieben Schwestern sei, der ist gewaltig im Irrthum. Wir müssten denn, — wollten wir gewisse Unzulänglichkeiten in Bau, Ernährung und Ver­knüpfung der Denkzellen als »weibliches Prinzip« bezeichnen, uns zu dem ungeheuerlichen, aber tiefsinnigen Satze ver­steigen: »Es gibt unter den Männern mehr Weiber, als unter den Weibern Männer.« Ist doch die Geschichte menschlicher Grausamkeit und Zerstörungswuth, menschlichen Irrthums und Aberglaubens im Wesentlichen nur eine Geschichte männ­licher Geistesumnachtung!
Also, verehrte liebe Schwestern, vertrauen Sie getrost dem göttlichen Funken, mit dem auch Ihr Gehirn geladen ist; aber vergessen Sie nicht, dass die Lehre »von dem Rechte, das mit uns geboren», in der männlichen Rechts­philosophie niemals für die Frau gegolten hat. Was Sie in der Gleichberechtigung mit uns Männern auf den Gebieten geist­igen Schaffens erreichen werden, werden Sie uns abtrotzen müssen in heissem Kampfe und unter Anwendung aller er­denklichen Kriegslisten. Und darin sind Sie uns ja über­legen, — wenn Sie wollen.



[i] Eigenste Worte eines berühmten Professors der Anatomie




Hermynia Zur Mühlen - Tod dem Bourgeois!

Tod dem Bourgeois! Er hockt herum, schwersäßig, angefressen, stumpf, ein Erdklumpen, jedes Aufschwungs unfähig, kleinlich bis in die letzte ...