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Portrait Bertha-Peter Lecher mit ihrer Haarlocke |
EIN WIRKLICHER BRIEF AN EIN WIRKLICHES ZWÖLFJÄHRIGES MÄDCHEN.
(Aus dem Cyklus »Das Leben selbst«.) Von PETER ALTENBERG (Wien).
Piroska, meine Liebe, Sie werden natürlich das durchaus nicht verstehen, was ich hiemit zu Ihnen sage und vielleicht wird es Ihnen auch niemals erklärlich werden.
Denn Sie beginnen den Weg, welchen ich bereits zu Ende gegangen zu sein das Vergnügen habe.
Jawohl, das Vergnügen!
Denn ich habe das Vergnügen, meine Seele, meinen Geist, auf ziemlich unwegsamen Pfaden bereits dorthin gebracht zu haben, wo dieselben ausruhen dürfen von den Strapazen und einen gewissen Überblick haben über das Land, das Land der Träume, der Realitäten und der überflüssigen Emotionen! Ich wiederhole Ihnen, Piroska, meine Liebe, dass Sie diese Dinge auch späterhin nicht erklärlich finden könnten, niemals; denn die Wege des Mädchens und der Frau pflegen dort gerade abzubrechen, wo eben die Pfade unserer Weisheiten beginnen!
Nun, Piri, mein Liebling, das möchte ich Dir mittheilen, dass alles Jugendliche, welches ich antraf auf meinen Lebenswegen, mir alt vorkam, greisenhaft, gebrechlich, leicht zu erschüttern und zu schwächen vor lauter mühseligen Hoffnungen und Tages-Träumen und sehnsüchtigen Emotionen und Unentschiedenheiten in dem und in jenem. Die jungen Mädchen, welche ich sah, besassen die Falten unruhiger Lebenssehnsuchten in ihrem milden Antlitz, ja sogar in ihren Augen. Die Jünglinge waren blass oder puterroth vor todtem, gleichsam gestocktem, durch Generationen mitgeschlepptem Ehrgeiz, welcher wie Blei in ihrem Nervensysteme lag.
Selbst die Natur, diese friedevolle, schien mir unruhevoll zu sein und sich zu sehnen, der Sommer nach dem Herbst, das baumelnde Blatt nach Fallen, Ruhen, das Wasser nach Verdunsten, die Wolke nach Concentration in Tropfen. Alles, alles war alt vor inneren Unruhen, vor überflüssigen Bewegungen, welche den Organismus schwächen und gleichsam die chemischen Verbindungen, Organisierungen auseinanderschütteln und verhindern.
Gebt Ruhe!
Siehe! Bismarcks und Goethes Geist waren von Anbeginn voll Ruhe. In unerschütterlichen Sicherheiten waren sie, Tag und Nacht, zu jeder Stunde, niemals bedrängt von sich selbst, so wenig wie die Lunge von ihrem Athmen, das Herz von seinem Klopfen bedrängt würde!
Sie wirkten, ruhevollst!
Aus diesem Frieden wuchs die Kraft, die Grösse!
So sei Dein Herz, o Mensch! So wachse, Frauenseele!
Alles also, wie gesagt, Piroska, Piri, mein schöner Liebling, war alt und kam mir alt vor vor lauter Jugendlichkeiten, weil es an sich selbst rüttelte, Thore vorzeitig aufzusprengen suchte und zu Erlösungen stürmisch zu kommen trachtete!
Da erblickte ich Dich — — —.
Da erblickte ich Dich und der heilige Friede der Unbedenklichkeiten, der inneren Harmonien, mit einem Worte der von ihrem Irrgange erlösten Welt, offenbarte sich mir in Dir!
Piroska, Piri — — —!?
In Deinen süssen Augen lag es, auf Deiner sanften Stirne lag es, auf Deinen schimmernden Haaren lag es, in Deiner zarten Gestalt lag es — — —.
Willenlos, vom Wollen erlöst, wunschlos, vom Wünschen los, ohne Anfang, ohne Ende, ein in sich gesichertes Sein, lebst Du, Piroska, wie der Stern auf seiner ihm selbst mysteriösen Bahn, wie das Genie, welches sich verlässt auf einen Gott in ihm!
Da sitzest Du, Piri, mein Liebling, in ewiger Jugend, nimmst meinen freundschaftlichen Blick an in Ruhe, meinen freundschaftlicheren Händedruck, meine sanfteste Berührung Deiner seidenen Haare — — — .
In Ruhe lächelst Du.
Eine Blume gibst Du mir, welche ich natürlich küsse. Du wirst nicht roth, nicht blass dabei — — —. Wie der See nicht erröthet oder erbleicht, wenn der Dichter denselben besingt oder sich sogar vor ihm verneigt im Abendfrieden.
Bleibe jung, Piri, indem Du niemals jugendlich wirst und einherstürmst innerlich. Bleibe jung, indem Du selber unbeweglich bleibst und die Schönheiten und Bitterkeiten dieser Welt in Dich einströmen lassest, und, gleich der Seelen-Constitution edler Griechinnen, Dir Wunden gerade so tief nur schlagen lassest, vom Leben, dass sie noch leicht und schön vernarben und eine neue Zierde Deiner Seele werden! Wie Schrammen von Helden, welche von Siegen kommen!
Bleibe ruhig — — —. Dem unbeweglichen Fischer kommt der Lachs an die Angel.
Bleibe ruhig, Piroska, lasse Dich nicht erschüttern von Dir selbst, von Träumen und Vergeblichkeiten!
Bleibe ruhig! Dann wird diese herrliche, bewegte, strömende Welt in Dich sich ergiessen, weil sie selbst, diese Rastloseste, einen Hafen der Ruhe sucht. In Deine ruhevolle Seele wird sie sich ergiessen, Piroska, und wird Dich ausfüllen und reich machen. Glücklich?! Nein, reich!!
Piroska, meine Liebe, ich vermuthe, Du wirst diese Dinge niemals ganz erklärlich finden. Weshalb?! Weil Eure Wege dort abzubrechen pflegen, wo die Pfade unserer Weisheit erst beginnen — — —.
Dein
Peter Altenberg.
Aus: Wiener Rundschau.1897/8