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Biene Maja Stummfilm |
Um es gleich zu
gestehen: ich bin nur halb gebildet. Ich habe das vielleicht am meisten
gelesene Buch Deutschlands, ein Buch, das sechshundert Auflagen hat und in
allen Sprachen übersetzt ist, ich habe die »Biene Maja« bloß zur Hälfte
gelesen. Es mag eine Eigenart von mir sein, aber mir ist eine Biene, die nach
Art deutscher Touristen die Natur bewundert, nicht ganz angenehm, und wenn ein
Rosenkäfer Peppi heißt (nämlich wirklich Peppi mit zwei p), so kann mich das
geradezu unglücklich machen.
Man
hatte mir gesagt. Waldemar Bonsels sei ein Dichter der Natur. Er sei sogar
imstande, sich in die Seele einer Biene zu versenken. Großartig, dachte ich,
da kann man einmal etwas von den Bienen erfahren. Aber, o weh, die Seele der
Biene Maja glich aufs Haar der einer Pastorstochter aus Wermelskirchen, ein bißchen
neugierig, ein bißchen patriotisch, der Rosenkäfer machte gleich nach den
ersten Seiten die reinsten Hausherrnszenen, als wohnte er in einem Berliner
Vorderhaus und nicht in einer Rose, und mir war zumute wie nach einer
spiritistischen Sitzung, in der Goethes Geist durch mühseliges Klopfen an einen
Tisch die überflüssigsten Albernheiten hervorgebracht hatte. Sieht es bei den
Tieren wie bei den Geistern also wirklich um nichts besser aus als bei den
Menschen?
»Man
soll in der Natur und im Tierleben den Menschen möglichst außer Spiel lassen«,
sagt Herr Bonsels, der die Wiener Erstaufführung des Films »Die Biene Maja und
ihre Abenteuer« am Lesepult einleitet. Allerdings bezieht er das nur auf den
Film. Und ich war begierig auf die Vorführung, in der alle Bienen, Ameisen und
Käfer des Buchs einmal ohne die leidige menschliche Gehirntätigkeit auftreten
müßten. »Denn eigentlich«, erklärt der Dichter, »ist dieser Film ja nur eine
Serie von Naturaufnahmen, die dem Buch entnommen sind. Auf das Psychologische
muß man leider verzichten.«
Nun,
der Film ist wirklich gut. Arbeiten die Natur und gewissenhafteste Technik Hand
in Hand, so kann selbst deutsche Wald- und Wiesenpoesie ihnen nicht viel
anhaben.
Wären
nicht die vielen, allzu langen Texte, man könnte glauben, man sähe ganz einfach
eine bunte, phantastisch reale Bilderfülle aus dem Leben der Insekten.
Besonders schön die Geburt einer Libelle — man muß ja nicht gerade daran
denken, daß sie Schnuck heißt. Man muß überhaupt immer rechtzeitig die Augen
schließen, wenn der Text kommt.
Drei
Jahre lang wurde in dem Dachgarten eines Berliner Ateliers an diesem Film
gearbeitet. Es war mühseligste Kleinarbeit. »Sie glauben nicht, wie lange man oft
warten mußte, bis das kleine Mistvieh
sich dazu herbeiließ, eine Bewegung zu machen«, sagt der Dichter Waldemar
Bonsels.
Den
Hauptwert legt er selbst auf die letzten Teile des Films, die den Kampf der
Bienen und Hornissen darstellen. Das war nicht so einfach. Wie der Dichter erzählt,
wurden die Hornissen erst einmal ein bißchen
ausgehungert, ehe man sie auf die Bienen losließ, die nun, wie zu lesen
steht, ihre »Vaterlandsliebe« und »Heimatstreue« beweisen konnten. »Es war sehr lustig«, sagt der beliebte deutsche
Dichter, »wie die Feinde trotz aller Kampfeslust im letzten Augenblick, vom
Lichte der Scheinwerfer geblendet, innehielten. Es fiel uns gar nicht so
leicht, sie zum Kampf zu bewegen.«
Wahrlich,
göttlich ist der Instinkt der Tiere. Noch ausgehungert wittern sie den größeren
Feind, dieses »Animal méchant par excellence«. wie Gobineau den Menschen nennt,
denn er ist das einzige Lebewesen, das nicht nur um des eigenen Nutzen willen Böses
tut.
Doch
lassen wir den Dichter weiterreden. »Ergreifend war es nun, den Rassenhaß in
der Natur zu beobachten.« Und man sieht es auch auf der Leinwand. Die Tiere
morden sich in rasender Wut. Und es steht sogar geschrieben, wie die Bienen siegreich die fliehenden Feinde töten.
Herr
Bonsels rechnet zu fünfzig Prozent mit dem Besuch Jugendlicher. Er hat ja auch
das Buch »Die Biene Maja« eigentlich für Kinder geschrieben, denn er ist der
Ansicht, »daß man für Kinder nicht unbedingt
albern sein muß«. Und dieses Buch ist denn auch in allen Kinderbibliotheken zu
finden.
Weiß
denn niemand, in welch tiefem, triebhaftem Zärtlichkeitsverhältnis Kinder zur
Natur stehen? Selbstverständlich, noch ehe sie gelernt haben, daß die Kuh zum
Milchgeben da ist, und ehe sie die erste Botanisiertrommel bekommen haben, also
ganz kleine Kinder. Ich sah einmal ein winziges Ding, das bei seiner ersten
Begegnung mit einem großen Hund nichts anderes tat, als ihn ganz leise mit den
Fingerspitzchen streicheln und dazu »danke shen« sagen, »danke shen«. Ist es
ausdenkbar, daß man diesem Kind in ein paar Jahren erzählen könnte, der Grashüpfer
hüpfe um des Weltrekords willen und alle Ameisen seien Räuber.
Nein,
ich bin für ein Zensurverbot für Jugendliche, wenigstens für solche, die lesen
können. Da schicke man sie lieber in die »Mädchenhändler von New York«. Denn
daß die Menschen dumm und gemein sind, müssen sie ja sowieso erfahren. Aber mit
welchem Recht erzählt man ihnen das von den Tieren?
Ich protestiere im Namen der
Tiere!
Vielleicht
habe ich übertriebene Vorstellungen. Ich weiß zwar, daß eine Libelle einem Käfer
den Kopf abbeißen kann, daß sie aber dazu sagt: »Er ist wirklich ein lieber
Kerl«, das halte ich für ausgeschlossen. Und nicht einmal, wenn ein Käfer Kurt
heißt, traue ich ihm zu, daß er mit den Worten: »Ich habe keinen Appetit mehr«,
die noch lebende Hälfte eines Wurms entläßt. Ich glaube es nicht, und wenn die
Leser von Millionen Ausgaben es glauben wollen, der Poesie zuliebe, ich glaube
es nicht. Und ich wünsche nicht, daß Kinder es glauben.
Aus: Der Querschnitt, Herausgegeben von H. v. Wedderkop, Im Propyläen-Verlag, Berlin, VI. Jahrgang, Heft 7, Juli 1926