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Sonntag, 20. Januar 2019

Maria Lazar - Waldemar Bonsels und das deutsche Insekt



Biene Maja Stummfilm


Um es gleich zu gestehen: ich bin nur halb gebildet. Ich habe das vielleicht am meisten gelesene Buch Deutschlands, ein Buch, das sechshundert Auflagen hat und in allen Sprachen übersetzt ist, ich habe die »Biene Maja« bloß zur Hälfte gelesen. Es mag eine Eigenart von mir sein, aber mir ist eine Biene, die nach Art deutscher Touristen die Natur bewundert, nicht ganz angenehm, und wenn ein Rosenkäfer Peppi heißt (nämlich wirklich Peppi mit zwei p), so kann mich das geradezu unglücklich machen.
Man hatte mir gesagt. Waldemar Bonsels sei ein Dichter der Natur. Er sei sogar imstande, sich in die Seele einer Biene zu versenken. Groß­artig, dachte ich, da kann man einmal etwas von den Bienen erfahren. Aber, o weh, die Seele der Biene Maja glich aufs Haar der einer Pastorstochter aus Wermelskirchen, ein bißchen neugierig, ein bißchen patriotisch, der Rosenkäfer machte gleich nach den ersten Seiten die reinsten Hausherrnszenen, als wohnte er in einem Berliner Vorderhaus und nicht in einer Rose, und mir war zumute wie nach einer spiritistischen Sitzung, in der Goethes Geist durch mühseliges Klopfen an einen Tisch die überflüssigsten Albernheiten hervorgebracht hatte. Sieht es bei den Tieren wie bei den Geistern also wirklich um nichts besser aus als bei den Menschen?
»Man soll in der Natur und im Tierleben den Menschen möglichst außer Spiel lassen«, sagt Herr Bonsels, der die Wiener Erstaufführung des Films »Die Biene Maja und ihre Abenteuer« am Lesepult einleitet. Allerdings bezieht er das nur auf den Film. Und ich war begierig auf die Vorführung, in der alle Bienen, Ameisen und Käfer des Buchs ein­mal ohne die leidige menschliche Gehirntätigkeit auftreten müßten. »Denn eigentlich«, erklärt der Dichter, »ist dieser Film ja nur eine Serie von Naturaufnahmen, die dem Buch entnommen sind. Auf das Psychologische muß man leider verzichten.«
Nun, der Film ist wirklich gut. Arbeiten die Natur und gewissenhafteste Technik Hand in Hand, so kann selbst deutsche Wald- und Wiesenpoesie ihnen nicht viel anhaben.
Wären nicht die vielen, allzu langen Texte, man könnte glauben, man sähe ganz einfach eine bunte, phantastisch reale Bilderfülle aus dem Leben der Insekten. Besonders schön die Geburt einer Libelle — man muß ja nicht gerade daran denken, daß sie Schnuck heißt. Man muß überhaupt immer rechtzeitig die Augen schließen, wenn der Text kommt.
Drei Jahre lang wurde in dem Dachgarten eines Berliner Ateliers an diesem Film gearbeitet. Es war mühseligste Kleinarbeit. »Sie glauben nicht, wie lange man oft warten mußte, bis das kleine Mistvieh sich dazu herbeiließ, eine Bewegung zu machen«, sagt der Dichter Walde­mar Bonsels.
Den Hauptwert legt er selbst auf die letzten Teile des Films, die den Kampf der Bienen und Hornissen darstellen. Das war nicht so einfach. Wie der Dichter erzählt, wurden die Hornissen erst einmal ein bißchen ausgehungert, ehe man sie auf die Bienen losließ, die nun, wie zu lesen steht, ihre »Vaterlandsliebe« und »Heimatstreue« beweisen konnten. »Es war sehr lustig«, sagt der beliebte deutsche Dichter, »wie die Feinde trotz aller Kampfeslust im letzten Augenblick, vom Lichte der Scheinwerfer geblendet, innehielten. Es fiel uns gar nicht so leicht, sie zum Kampf zu bewegen.«
Wahrlich, göttlich ist der Instinkt der Tiere. Noch ausgehungert wittern sie den größeren Feind, dieses »Animal méchant par excellence«. wie Gobineau den Menschen nennt, denn er ist das einzige Lebewesen, das nicht nur um des eigenen Nutzen willen Böses tut.
Doch lassen wir den Dichter weiterreden. »Ergreifend war es nun, den Rassenhaß in der Natur zu beobachten.« Und man sieht es auch auf der Leinwand. Die Tiere morden sich in rasender Wut. Und es steht so­gar geschrieben, wie die Bienen siegreich die fliehenden Feinde töten.
Herr Bonsels rechnet zu fünfzig Prozent mit dem Besuch Jugend­licher. Er hat ja auch das Buch »Die Biene Maja« eigentlich für Kinder geschrieben, denn er ist der Ansicht, »daß man für Kinder nicht un­bedingt albern sein muß«. Und dieses Buch ist denn auch in allen Kinderbibliotheken zu finden.
Weiß denn niemand, in welch tiefem, triebhaftem Zärtlichkeits­verhältnis Kinder zur Natur stehen? Selbstverständlich, noch ehe sie gelernt haben, daß die Kuh zum Milchgeben da ist, und ehe sie die erste Botanisiertrommel bekommen haben, also ganz kleine Kinder. Ich sah einmal ein winziges Ding, das bei seiner ersten Begegnung mit einem großen Hund nichts anderes tat, als ihn ganz leise mit den Fingerspitz­chen streicheln und dazu »danke shen« sagen, »danke shen«. Ist es ausdenkbar, daß man diesem Kind in ein paar Jahren erzählen könnte, der Grashüpfer hüpfe um des Weltrekords willen und alle Ameisen seien Räuber.
Nein, ich bin für ein Zensurverbot für Jugendliche, wenigstens für solche, die lesen können. Da schicke man sie lieber in die »Mädchen­händler von New York«. Denn daß die Menschen dumm und gemein sind, müssen sie ja sowieso erfahren. Aber mit welchem Recht erzählt man ihnen das von den Tieren?
Ich protestiere im Namen der Tiere!
Vielleicht habe ich übertriebene Vorstellungen. Ich weiß zwar, daß eine Libelle einem Käfer den Kopf abbeißen kann, daß sie aber dazu sagt: »Er ist wirklich ein lieber Kerl«, das halte ich für ausgeschlossen. Und nicht einmal, wenn ein Käfer Kurt heißt, traue ich ihm zu, daß er mit den Worten: »Ich habe keinen Appetit mehr«, die noch lebende Hälfte eines Wurms entläßt. Ich glaube es nicht, und wenn die Leser von Millionen Ausgaben es glauben wollen, der Poesie zuliebe, ich glaube es nicht. Und ich wünsche nicht, daß Kinder es glauben.

Aus: Der Querschnitt, Herausgegeben von H. v. Wedderkop, Im Propyläen-Verlag, Berlin, VI. Jahrgang, Heft 7, Juli 1926

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